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traurige Fahrten

Ich bin eine Laestertasche. Seelischer Druck – in was einer Form auch immer – bewirkt bei mir verbale Erguesse – wie auch immer. Ich leide, also sprech ich – egal was. Tut mir leid fuer meine mitmenschliche Umgebung, die dafuer in solchen Situationen auch schnell den Rueckzug antritt. Macht nichts. Ist wahrscheinlich besser so fuer alle Beteiligten.

Mir tut im uebertragenen Sinne mein Herz weh. Sehr weh sogar. Denn der Tod von meinem Bruder muss erstmal verkraftet werden. Das geht nicht so einfach.

Auch im ICE wird man ganz schoen durchgeschuettelt. Trotz hoher Geschwindigkeit haben jedoch ausnahmslos alle Zuege, die ich in Deutschland benutze, mindestens etwa eine Viertelstunde Verspaetung. Das muss an der Privatisierung der Bahn liegen. Frueher war das anders.

Ich schliesse die Augen, will an meinen Bruder denken. Soviel wie moeglich an ihn erinnern. Ich sehe noch sein Gesicht vom letzten Abend. So jung und fein.

Wir haben Sitzplaetze mit Tisch. An dem Tisch auf der anderen Seite des Ganges, also auch eigentlich neben mir, sitzt ein fetter Mann mit kurzen Beinen, der seine Fuesse auf die Sitzbank gegenueber gelegt hat – was kaum geht, weil zu kurz – und sich in regelmaessigen Abstaenden lautstark schneuzt. Er bedient einen Apple Leptop.

Nirgends verschafft essen soviel Befriedigung wie im Zug. Mutter hat gut vorgesorgt und Aepfel, Bananen, Kaesebrote und sogar Studentenfutter eingepackt. Ich leiste uns den dazu passenden heissen Kaffee aus dem Bordrestaurant. Nachdem ich alle Kaesebrote gegessen habe, fuehle ich mich sehr satt.

Mein Bruder scheint seinen Tod vorausgeahnt zu haben, denn in seinen letzten Aufzeichnungen schreibt er von Abschiednehmen vielleicht fuer immer. Er schreibt auch, dass er mit negativen Vorzeichen auf die Welt gekommen sei, was mich traurig macht. So muss er wirklich gefuehlt haben, das habe ich mir schon gedacht. Ich haette mehr auf ihn aufpassen sollen. Vorallem zum Schluss, wo ich kaum noch Zeit fuer ihn hatte, was ich jetzt sehr bereue. Er schreibt auch ueber seine Krankheit und die Ungereimtheiten bezw. Fehler, die den Aerzten anscheinend passiert sind und ihm wahrscheinlich letzten Endes das Leben gekostet haben.

Der Nase schneuzende Mann im ICE neben mir wirkt so selbstzufrieden. Vollkommen anders als mein Bruder. Mein Bruder war schlank und immer jugendlich, obwohl an Jahren sicher aelter als der Nachbar im ICE.. Mein Bruder war in vieler Hinsicht ambivalent und wirkte seelisch hungrig und aufgeschlossen. Ganz anders als so ein im eigenen Fett schwimmender Jungmanager am Apple Computer.

Der Sprinter ICE faehrt non-stop von Berlin nach Frankfurt. Dann dreht sich die Fahrtrichtung und er rollt noch mit Stopp in Mannheim bis Stuttgart. Die Fahrt ist sehr unruhig, trotz moderner Technik und hoher Geschwindigkeit.. Man koennte seekrank werden. Oder auf der Toilette daneben pinkeln. Diese Strecke muss ich noch einige Male fahren. Und das tu ich aus traurigem Anlass und nicht gerne.

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One Response

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  1. the-sun says

    Nichts zu sagen ist genauso komisch wie was zu sagen.
    Aber egal, es tut mir sehr leid für dich und deine Familie, sowie für ihn.
    Lg, Britta in Norwegen



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